Netzneutralität

Seit den Gerüchten und der Bestätigung über eine geplante Volumenbeschränkung für DSL Anschlüsse seitens einzelner Anbieter ist das Thema der Netzneutralität zum ersten Mal in den Mittelpunkt für eine breitere Öffentlichkeit gerückt. So finden sich zu dem Thema dann leider auch viele Beiträge, die am eigentlichen Kern der Sache vorbeigehen. Wie die Infrastrukturanbieter ihre Geschäftsmodelle optimieren wollen, um zusätzliches Umsatzpotential zu erschließen, lenkt von dem eigentlichen Problem ab: Es geht um nicht weniger, als die bisherige Neutralität unserer bisherigen Internet Infrastruktur auch für die Zukunft zu sichern.

Das Internet wurde von Beginn an so konzipiert und umgesetzt, dass alle Daten dort mit der gleichen Priorität transportiert werden, unabhängig davon, wofür sie verwendet werden. Alle Informationen werden in kleine Bausteine aufgeteilt, von denen jeder gleichberechtigt transportiert wird – egal, ob das Datenpaket Teil einer eMail, einer Webseite, eines Telefonats, eines Musikstücks oder eines Films ist.

Der Vorstoß eines bekannten Anbieters, das maximale Volumen pro Monat begrenzen zu wollen, ist sein gutes Recht und im Mobilfunkbereich seit langem gängige Praxis. Die Begründung dahinter mit Lastspitzen im Netz und einzelnen „Power-Usern“, die das derzeit noch pauschal bezahlte Volumen über Gebühr strapazieren sollen, ist weniger geschickt gewählt. Der Anbieter bezahlt den Internet-Traffic nämlich gar nicht nach Volumen, sondern nach einer aufwendigen Mittelung der Lastverteilung.

Bevorzugter Transport von bezahlten Inhalten

Wollte man wirklich nur die Lastspitzen im Internetverkehr (die nicht wie zu erwarten tagsüber auftreten, sondern vor allem abends zwischen 20 und 23 Uhr entstehen) entschärfen, so würde eine moderate Drosselung der Übertragungsgeschwindigkeiten in diesem Zeitraum für jeden nachvollziehbar sein. Die Internetanschlüsse blieben auch dann noch nutzbar und würden ausserhalb dieser „Stosszeiten“ unverändert die volle Bandbreite liefern.

Stattdessen sehen die bisherigen Pläne vor, die Zugangsgeschwindigkeit ab dem Erreichen eines Datenvolumens, das bei intensiver genutzten Anschlüssen innerhalb von wenigen Tagen anfällt, eine Drosselung auf weit unter 1% der Normalgeschwindigkeit vorzunehmen. Man kann dies auch als „funktional kaputt“ ansehen, wenn man dem Vergleich folgt, dass ein PKW der in der Stadt zuvor 50 km/h fährt nach der Drosselung nur noch 375 Meter in einer Stunde zurücklegt – ein Bruchteil dessen, was ein Fußgänger in der gleichen Zeit erreichen würde.

Das Internet als wertvoller Rohstoff, Durchlauferhitzer und Brutkasten

Unabhängig von dieser erhitzten Diskussion, ob, was und wie man drosseln sollte oder nicht, zeigt sich der Kern des Problems eher beiläufig: Bestimmte Dienste dieses Anbieters wie z.B. Unterhaltungsangebote und Musikstreaming – beides sehr datenintensiv – sollen nämlich von der Drosselung ausgenommen sein. Für den Nutzer bedeutet dies, dass er für vergleichbare Angebote von Mitbewerbern indirekt einen Strafzuschlag entrichten muss, da er für das damit verbundene Datenvolumen zusätzlich bezahlen muss oder bestimmte Angebote im Netz nach der Drosselung gar nicht mehr nutzen kann.

Das Internet ist in seiner bisherigen Form Rohstoff, Durchlauferhitzer und Brutkasten für Innovation und Fortschritt. Jede Verzerrung der Marktchancen wird auf Kosten der kleinen, innovativen, flexiblen Unternehmen, Gründer, Projekte oder Netz-Communities stattfinden. All diese liefern aber den Treibstoff, damit wir nicht den globalen Anschluss verlieren. Der freie Netzzugang und die Neutralität des Datenverkehrs im Netz müssen als Commodity – eine Selbstverständlichkeit wie Luft oder Wasser – zu erschwinglichen Kosten erhalten bleiben.

Sollte Post abhängig vom Inhalt unterschiedlich schnell befördert werden?

Technisch möglich wird der drosselnde Eingriff übrigens erst jetzt durch hochmoderne Vermittlungstechnik, die nicht mehr nur einfach die Daten weiterleitet, sondern in Echtzeit jedes einzelne Datenpaket öffnet und dessen Inhalt analysiert, um entscheiden zu können, ob das Paket weitergeleitet, verzögert oder verworfen werden soll. Hier taucht eine noch spannendere Fragestellung auf: Ist das erst einmal Routine für einen Anbieter, so ist es ein Leichtes, die Daten weiterzuverwerten, zu zensieren oder beliebige andere Eingriffe vorzunehmen. Ist das eine Aufgabe, die wir uns von einem Infrastrukturanbieter wünschen? Könnten wir uns einen derartigen Eingriff – in Analogie – bei den klassischen Post-/Paketzustelldiensten vorstellen?

Neben der breiten Aufklärung zu den Hintergründen und Argumenten für die Netzneutralität gibt es eine Reihe von Initiativen, deren Ziel ebenfalls die Sicherung einer anbieterunabhängigen Internetinfrastruktur ist. Hier versucht man durch den gezielten Aufbau von eigenen Mesh-Netzen eine unabhängige, dezentrale Struktur zu schaffen. Über WLAN werden vorhandene Netzteilnehmer zu einem selbstorganisierenden Netzwerk verknüpft und nutzen gemeinsam alle vorhandenen Übergangspunkte der Provider.

Community Networks Testbed for the Future Internet

Die EU erforscht gerade über das CONFINE Projekt („Community Networks Testbed for the Future Internet“), wie beständig und leistungsstark solche Netze sein können.

Liebe Anbieter, gerne dürft ihr eure Leitungen und Infrastrukturen wirtschaftlich optimal nutzen, der Markt regelt die richtigen Konditionen ganz von selbst. Aber realisiert eure Umsätze in einer Form, die der Innovationskraft eurer Märkte nicht substantiell schadet. Sonst sägt ihr an dem Ende am Ast, auf dem ihr sitzt.

Alle Internetnutzer, die sich zu dem Thema engagieren wollen, können sich noch bis zum 18. Juni an der laufenden Petition zur Verpflichtung der Netzanbieter zur Neutralität beteiligen.