Die fünf Wachstums- und Krisenphasen eines Unternehmens

Kein Start-Up Unternehmen entwickelt sich wie ein anderes. Jedes formt im Laufe der Zeit seinen ganz eigenen Mikrokosmos an Kultur, Dynamik, Prozessen und Regeln. Während in jungen Start-Ups oft noch das kreative Chaos im Vordergrund steht, nimmt der Reifegrad mit Erfolg und Alter stetig zu.

Dabei finden sich in den einzelnen Wachstumsphasen ganz typische Krisen- und Bruchstellen, die sich bei vielen Unternehmen in ähnlicher Form beobachten lassen.

Ein bemerkenswertes Modell dazu liefert die „Greiner Kurve“ von Larry E. Greiner, einem Professor für Management- und Organisationstheorie. Spätestens seit ihrer zweiten Vorstellung im Harvard Business Review trifft man in diesem Zusammenhang immer wieder auf diese Strukturierungsmethode.

Typische Wachstums- und Krisenphasen

Gerade in den ersten erfolgreichen Wachstumsphasen tendiert das Management von Unternehmen oft dazu, seine Kunden und die damit verbundenen Umsatzmöglichkeiten in den alleinigen Fokus zu stellen. Dieses Denken ist in der Tat wesentlich in den ersten Jahren eines Unternehmens – denn ohne die für den Markt richtigen Produkte und Dienstleistungen wird sich ein wirtschaftlicher Erfolg nur schwer einstellen.

 

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Gleichzeitig geraten bei dem anfangs sehr konzentrierten Blick auf Umsatzchancen und -entwicklung andere, ebenso wesentliche Bereiche oft aus dem Blickfeld. Besonders im Hinblick auf die Entwicklung der eigenen Organisation bleibt im Tagesgeschäft zu wenig Zeit. Dabei benötigen Aspekte wie Firmenkultur, Geschäftsprozesse oder Talententwicklung ebenfalls volle Aufmerksamkeit.

Regelmäßig beobachtete Sollbruchstellen

Spätestens wenn die Notwendigkeit von frischen Innovationen, Skalierbarkeit von einzelnen Bereichen, Wissensteilung oder eigenverantwortliches, wirtschaftliches Handeln der Mitarbeiter deutlich wird, setzen die ersten Mitbewerber zum Überholen an, falls die Organisation dafür noch nicht aufgestellt ist.

Es steht außer Frage, dass jedes Unternehmen seinen ganz individuellen Weg gehen wird und man sich nur schwer auf Unerwartetes vorbereiten kann. Die hier beschriebenen Umbrüche lassen sich jedoch seit langem in vielen Unternehmen beobachten. Somit dürfte es die Zeit in jedem Fall wert sein, sich kritisch damit auseinanderzusetzen, um die entsprechenden Signale im eigenen Unternehmen frühzeitig beobachten, deuten und darauf reagieren zu können.

 

Phase 1: Die Führungskrise

In der ersten Phase stehen die Gründer und ihre Geschäftsidee im Mittelpunkt. Es wird alles daran gesetzt, die Idee erfolgreich in den Markt zu bringen und zahlende Kunden zu gewinnen. Wachstum findet jetzt vor allem durch Kreativität, hohen Einsatz des Gründerteams und der ersten Mitarbeiter statt. Die Kommunikation ist sehr informell, Entscheidungen werden vor allem durch die Gründer getroffen und es herrscht an vielen Stellen kreatives Chaos.

Dieses hochdynamische Zusammenspiel gerät gegen Ende der ersten Phase an seine Grenzen. Es zeigt sich die Notwendigkeit, erste Strukturen und Führungskräfte aufzubauen, da nicht mehr alles über die Schreibtische der Gründer allein laufen kann.

 

Auf einen Blick:

  • Fokus auf Umsetzung der Geschäftsidee und Kundengewinnung
  • Informelle Kommunikation, alle Entscheidungen treffen die Gründer
  • Es zeigt sich die Notwendigkeit von Struktur und Führung
  • Drohende Gefahr: Motivation und Stärken können verlorengehen

 

Phase 2: Die Autonomiekrise

Die zweite Phase ist oft davon bestimmt, dass sich eine klare Unternehmensleitung herausbildet. Das kann durch eine starke Gründerpersönlichkeit geschehen oder ein erfahrenes Management Team. Das Wachstum wird jetzt vor allem durch Anleitung und Führung erzielt. Es bilden sich Prozesse heraus und die Organisation erlebt einen ersten Reifegrad, z.B. durch die Strukturierung in Bereiche, die Schaffung von Hierarchien, die Einführung von Budgets, die Einrichtung einer zentralen Einkaufsfunktion oder die sorgfältige Verwaltung des Anlagevermögens.

Oft kommen jetzt auch externe Unterstützer dazu, die bei der Entwicklung der Organisation gezielt helfen. Dadurch kann sich die Kultur des Unternehmens spürbar verändern und es gilt, die bisherige Motivation und die vorhandenen Stärken bewusst weiterzuentwickeln, damit sie nicht verloren gehen.

 

Auf einen Blick:

  • Es gibt eine gemeinsame Führung durch ein Management Team
  • Strukturen wie Bereiche, Hierarchien, Verantwortlichkeiten entstehen
  • Abläufe, Prozesse, Funktionen und Budgets werden definiert
  • Drohende Gefahr: es bilden sich geschlossene Inseln (Bereiche)

 

Phase 3: Die Kontrollkrise

Die Leitung des Unternehmens konzentriert sich in der vorigen Phase typischerweise auf wenige einzelne Verantwortliche. Diese geraten nun an ihre Leistungsgrenzen, da sie praktisch für alle Vorgänge im Unternehmen verantwortlich sind. Darunter fallen nicht nur alle fachlichen Aspekte sondern auch „weiche“ Themen rund um die Qualifikation, Entwicklung und Betreuung der Mitarbeiter.

Als Ausweg werden komplette Aufgabenbereiche delegiert, es entstehen Abteilungen, regionale Verantwortungen, erste Profitcenter, Geschäftsfelder oder Querschnittsfunktionen, die jeweils ihre eigene unabhängige Dynamik entwickeln. Die Herausforderung besteht nun darin, dass die neuen Abteilungen, Bereiche und Geschäftsfelder weiterhin im Sinne des Unternehmens arbeiten und keine geschlossenen Welten aufbauen, die am Ende gegeneinander arbeiten.

 

Auf einen Blick:

  • Delegation von ganzen Aufgabenbereichen
  • Weiche Themen wie Kultur, Werte und persönliche Entwicklung gewinnen an Wichtigkeit
  • Ausweichbewegungen wie z.B. Geschäftsfelder, Profitcenter oder juristische Untereinheiten
  • Drohende Gefahr: Gegeneinander statt Miteinander arbeiten

 

Phase 4: Die Bürokratiekrise

Die vorige Krise lässt sich letztlich nur durch ausgefeilte Koordinierung lösen, denn ein Rückschritt zu einer zentralen Kontrolle scheitert an den vielfältigen und breiten Anforderungen, denen sich das nochmals gewachsene Unternehmen gegenüber sieht. Jetzt entstehen Produktgruppen, es wird mehr formale Planung angewandt, neue Mitarbeiter zur übergreifenden Abstimmung eingestellt, vermehrt Cost/Profit Center eingerichtet und technische Funktionen werden nach Möglichkeit zentralisiert.

Die Bereichsmanager werden zunehmend auf die Gesamtanforderungen des Unternehmens sensibilisiert, Mitarbeiter über gewinnabhängige Bonuszahlungen oder Stock Options motiviert, am Gesamtwert des Unternehmens teilzuhaben und die vorhandenen Resourcen werden unternehmensweit ausbalanciert. Schießen diese Mechanismen und Systeme jedoch über das Ziel hinaus, dann beginnt sich das Unternehmen in der eigenen Bürokratie zu verfangen.

 

Auf einen Blick:

  • Koordination durch Prozesse
  • Zentralisierung technischer Funktionen
  • Notwendigkeit von Agilität und Flexibilität
  • Drohende Gefahr: ein Übermaß von Regeln und Bürokratie lähmt die Geschwindigkeit

 

Phase 5: Die Öffnungskrise

Nachdem die Grenzen von Formalisierung und Prozessen erreicht wurde, entsteht in der nun folgenden Phase wieder mehr Freiraum für spontane Entscheidungen, teamübergreifende Aktivitäten und eigenständige Konfliktlösungen zwischen Einzelnen. Vor allem Softskills wie soziale Kontrolle, Empathie und Selbstorganisation lösen den bisherigen starren Formalismus ab.

Oft wird jetzt eine Matrixorganisation geschaffen, um den geschäftlichen Anforderungen in mehreren Dimensionen gerecht zu werden. Im Sinne offener Innovation werden vermehrt Kunden, Partner oder externe Experten in die Produktentwicklung oder Geschäftsabläufe eingebunden.

Im Vordergrund stehen nun Problemlösungsorientierung, interdisziplinäre Teams, offene Treffen mit allen Geschäftsverantwortlichen oder Vergütungsmodelle für ganze Gruppen statt Einzelner, die für wirtschaftliche Erfolge verantwortlich sind. Diese Öffnung stellt sich besonders schwierig für diejenigen dar, die am Aufbau der Prozesse und formalen Systeme beteiligt waren, sowie den Team-Managern, die ihren Arbeitsstil darauf ausgerichtet hatten.

 

Auf einen Blick:

  • Neu entstehende Flexibilität und unternehmensübergreifende Teams & Netzwerke
  • Starrer Formalismus wird durch Selbstorganisation, Softskills und Empathie abgelöst
  • Ausrichtung am Markt, Lösungsorientierung, Vergütungsmodelle für ganze Teams statt Einzelner
  • Drohende Gefahr: Überforderung lange bestehender, zuvor bewährter Strukturen

 

 

Sicher wird nicht jedes Unternehmen im Laufe seiner Entwicklung ausnahmslos alle angesprochenen Krisen durchleben. Auch die Reihenfolge wird variieren. Das Modell zeigt dennoch einen guten Ausgangspunkt, um über bestimmte Sachverhalte nachzudenken und sich auf einige der bevorstehenden „Sollbruchstellen“ aktiv vorzubereiten, bevor sie das Unternehmen kalt erwischen.

In den nachfolgenden Verweisen finden sich der HRB Artikel sowie eine Reihe von vertiefenden Gedanken und weiterführenden Aspekten.

 


themanager.org/Strategy/Managing-Growth
mindtools.com/pages/article/the-greiner-curve
hbr.org/1998/05/evolution-and-revolution-as-organizations-grow
changingminds.org/disciplines/change_management/articles/phases-of-growth-and-crisis