Der lange Weg von App.net

App.net ist als werbefreie Social Networking Plattform angetreten, deren Service nicht auf ein Freemium Geschäftsmodell baut, sondern stattdessen von Anfang an über die Beiträge der zahlenden Nutzer finanziert wird. Damit sollte vorgebeugt werden, sich nicht in die Abhängigkeit von Investoren zu bringen oder gezwungen zu sein, die Nutzerdaten an Werbetreibende verkaufen zu müssen.

Nach Ablauf der ersten Bezahlperiode im Mai diesen Jahres stellt sich Ernüchterung ein – der Betrieb der Plattform scheint zwar für in Zukunft durch die vorhandenen Einnahmen von den zahlenden Nutzern gewährleistet zu sein, jedoch werden gleichzeitig auch alle Arbeitsverträge für die bisherigen Mitarbeiter aufgelöst. Somit steht der erste Kassensturz an, was an dem bewusst gegen den Freemium Trend gewählten Geschäftsmodell funktioniert hat und wo die Rechnung (bisher) nicht aufgegangen ist.

Kostenpflichtig aber werbefrei statt kostenlos und ausgeliefert

Fast alle Webservices kennen die Zwickmühle nur zu gut. Um Sichtbarkeit und Relevanz für die eigene Plattform zu erreichen, benötigt man eine ausreichend hohe Anzahl an Nutzern. Hier scheint oft das Freemium Modell der einzig funktionierende Weg zu sein. Somit versucht man durch ein attraktives Angebot an kostenfreien Diensten möglichst viele Nutzer anzulocken und hofft darauf, dass diese als Multiplikatoren die Plattform innerhalb ihres Netzwerks weiterempfehlen.

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Selbst ein minimaler symbolischer Preis würde hier einen Grossteil der neuen Nutzer abschrecken, gerade auch weil man dann stattdessen einfach zum nächsten Anbieter wechselt, der seine Funktionen kostenfrei zur Verfügung stellt. Für (hochwertige) Dienste im Netz zu bezahlen bleibt für viele eine Ausnahme und das überwältigende Angebot an freien Services bestätigt den sparsamen Nutzer noch in seiner Entscheidung.

Der hohe Preis für Freemium Dienste

Doch mit welchem Preis wird die komfortable Auswahl an unzähligen kostenfreien Diensten erkauft? Am Ende des Tages müssen alle Unternehmen wenigstens ihre Kosten decken und wollen mittelfristig Überschüsse erwirtschaften. Wenn die Einnahmen aber nicht über Beiträge von den Nutzern erzielt werden können, dann verbleiben wenig Alternativen.

Für die Startphase können das Risikokapitalgeber sein, die darauf setzen, dass ihre Anteile an dem Unternehmen zu einem späteren Zeitpunkt im Wert deutlich steigen. Für das laufende Geschäft bleiben mangels zahlenden Kunden dann oft nur Werbeeinnahmen bzw. der Verkauf der Informationen, die sich aus dem Betrieb der Plattform generieren lassen. Spätestens jetzt dürfte vielen Nutzern der günstige Service nicht mehr uneingeschränkt schmecken.

Auf der späten Suche nach einem Geschäftsmodell

Die Geschichte hält ein prominentes Beispiel bereit, das in vieler Hinsicht der Ausgangspunkt für die ersten Überlegungen zu App.net war. Twitter als ein Kommunikationsdienst war ohne ein klares Geschäftsmodell gestartet. Der Fokus lag lange darauf, eine möglichst große Nutzerbasis aufzubauen und die (spätere) Monetarisierung schien eine reine Fleissaufgabe für die Phantasie der Investoren zu sein.

Mit stetig zunehmenden Nutzerzahlen, die spätestens im hundert Millionen Bereich die kritischen Fragen nach einem nachhaltigen Geschäftsmodell schnell im Keim erstickten, wurden immer höhere Investitionsrunden erfolgreich abgeschlossen und die Unternehmensbewertung stieg in Höhen, die lange schon jeder gesunden Grundlage entbehrten.

Spätestens aber seit dem Börsengang von Twitter ist klar, dass das Unternehmen nicht endlos vom Investorenvorschuss leben kann sondern irgendwann ganz konkrete Umsätze erwirtschaften muss. Die Auswirkungen kann man an vielen Stellen beobachten – eine Vielzahl an denkbaren Geschäftsmodellen wird getestet und das anfangs vorbildlich offene Ökosystem Schritt für Schritt geschlossen, um wieder mehr Kontrolle über die Nutzer zu erhalten. Vieles wird auf dem Rücken von Partnern und Nutzern ausgetragen, die darüber wenig erfreut sind.

App.net: Twitter neu gedacht

An dieser Stelle tritt App.net in mit der ganz deutlichen Aussage an, dass man die Defizite von Twitter vermeiden will und die Plattform allein durch die Beiträge der Nutzer finanziert werden soll. Sie soll auf immer werbefrei und im wesentlichen unabhängig in den Händen der Nutzercommunity bleiben. Man wollte dafür eine klare Grundlage vom ersten Tag an bieten – der Dienst liefert einen entsprechenden Mehrwert, den jeder Nutzer über sein bezahltes Abo anerkennt und wertschätzt.

Umso spannender war es nun die Entwicklung der Plattform zu verfolgen. Der Start des Projekts wurde über Crowdfunding realisiert und eine Finanzierung von gut $ 800.000 in nur einem Monat mithilfe von über 10.000 im Voraus zahlenden Nutzern erreicht.

App.net legt vom ersten Tag an ein hohes Tempo vor, bot attraktive Funktionalität weit über das Vorbild Twitter hinaus und schaffte es, ein Ökosystem für Entwickler aufzubauen, so dass diese eine Vielzahl an Clients und Tools für den Dienst erstellen konnten.

Bemerkenswert war dabei ein monatlicher Pool von $ 30.000 als finanzieller Anreiz für alle aktiven Entwickler, die individuell anhand der Nutzung und Beliebtheit der entwickelten Applikationen verteilt wurde. Eine Vielzahl an Lösungen wurde dabei gleichzeitig als Open Source offen bereitgestellt.

Ein Pionier auf neuen Wegen in vieler Hinsicht

Mit steigenden Nutzerzahlen und damit auch steigenden Einnahmen konnte der Jahresbeitrag entsprechend verringert werden und die Schwelle für das Angebot sank. Altkunden, die noch den anfangs höheren Preis bezahlt hatten, freuten sich darüber, dass ihr Laufzeit nachträglich anteilig verlängert wurde. Es entstand der Eindruck, dass dieses ungewöhnliche Modell selbst in unserer Zeit mit der vorherrschenden „alles kostenfrei“ Mentalität sich durchsetzen kann.

Innerhalb einer sehr engen Zielgruppe von Entwicklern, Geeks, Podcastern und Technologie-affinen Personen wurde die Plattform als „der bessere Weg“ gefeiert und fand regen Zuspruch kombiniert mit loyalen und überzeugten Usern. Gleichzeitig war aufgrund der spezialisierten Nutzergemeinschaft die inhaltliche Qualität der Kommunikation tendenziell sehr hochwertig.

Das erste Signal, dass der Plan nicht ganz wie gewünscht aufgehen könnte, war die Einführung einer eingeschränkten kostenfreien Mitgliedschaft, um weniger technische Zielgruppen anzuziehen. Anfangs war dies zwar nur über eine persönliche Einladung durch ein zahlendes Mitglied möglich, aber nach und nach wurden die Einladungen grosszügig über viele Kanäle gestreut, so dass sie für Jedermann erreichbar waren.

Am Ende dann der Kassensturz

Aber selbst diese späte Änderung in ein Freemium Modell konnte den Kreis der zahlenden Stammnutzer nicht ausreichend vergrößern und am Ende kam der Kassensturz nach dem zweiten Ablauf der kostenpflichtigen Periode. Anhand der Rate der Verlängerungen von bestehenden Abos lässt sich ableiten, wie die weitere Entwicklung der Plattform aussehen wird.

Im State of the Union Beitrag des App.net Blog gibt Dalton Caldwell bekannt, dass zwar der zukünftige Betrieb der Plattform uneingeschränkt sichergestellt sei, aber gleichzeitig sehen sich die Gründer gezwungen die Fixkosten drastisch zu reduzieren. Es wird zukünftig keine fest angestellten Mitarbeiter mehr geben. Die beiden Gründer eingeschlossen.

Seitdem herrscht weitgehend Ruhe in der Kommunikation und es bleiben verunsicherte Nutzer sowie die Ernüchterung zurück, dass eine so überzeugend angetretene Idee (bisher) nicht in der Lage war zu beweisen, dass sie derzeit am Markt nachhaltigen Bestand haben kann.


mashable.com/2014/05/08/app-net-potential/
opensource.app.net/
daringfireball.net/linked/2014/05/06/whither-appnet/
blog.app.net/2014/05/06/app-net-state-of-the-union/
daltoncaldwell.com/what-twitter-could-have-been/
wired.com/2013/08/the-great-app-net-mistake/
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