Open Source Entrepreneurship
Unsere Ökonomie erlebt einen wesentlichen Umbruch – Wikinomics, Communities, Crowd-Sourcing oder Open Space sind dabei nur einige Bausteine für innovatives Unternehmertum.
Die Prinzipien einer klassischen Unternehmensgründung werden seit dem Internet-Zeitalter immer mehr hinterfragt. Auch wenn die New Economy im Jahr 2000 ihren ersten Höhenflug beendet hatte, so legte sie doch den Grundstein für viele unserer heutigen Technologien. Spätestens mit dem modernen kollaborativen Web und vielfältigen fertigen Businessbausteinen sind statt klassischer Erfindungen oder ausgefeilter Businesspläne meist nur ein Internetzugang, eine innovative Idee, die mit gängigen Konventionen bricht, sowie eine Handvoll Mitstreiter irgendwo auf unserer Welt notwendig, um eine Vision ins Rollen zu bringen. Diese hat das Potential, die neue Ökonomie nachhaltig mitzugestalten.
Noch lange bevor die neuen Entrepreneurs über Rechtsformen, Organisations-Strukturen oder Fremdkapital nachdenken, wird oft als erster Schritt – zumeist auf Basis von freier Open-Source-Software – eine enge Bindung zu den zukünftigen Kunden des neuen Unternehmens aufgebaut.
Kundennutzen im Mittelpunkt aller Aktivitäten
Statt zuerst aufwändig Produktideen, Märkte oder Gelegenheiten im „strategischen Sandkasten“ theoretisch zu durchdenken, wachsen die neuen Unternehmen vom ersten Tag an gemeinsam mit ihren zukünftigen Kunden und Anwendern. Märkte und Produkte entstehen dabei durch das Interesse an einem Projekt und der damit verbundenen Mitarbeit der auf dieser Basis entstehenden Community, ihrem direkten Feedback, den offen geführten Diskussionen, den Contributions und der aktiven Einflussnahme innerhalb des Projekts.
Innovative Ideen müssen dabei weder kompliziert noch hochtrabend sein. Gerade besonders einfache Ideen, die in wenigen Augenblicken als „Elevator Pitch“ klar und präzise weitergegeben werden können, führen mit höherer Wahrscheinlichkeit zu einem nachhaltigen Erfolg. Die Geschäftsidee sollte dabei bewusst mit traditionellen Konventionen brechen und während einer ausgiebigen Reifephase ständig hinterfragt und verfeinert werden. Je gründlicher ein Entrepreneur seine Vision durchdenkt und je früher er mit seiner Idee gleichzeitig schon an die Öffentlichkeit geht, also aktiv eine Community in der Entwicklung der Idee mit einbezieht und aufbaut, umso grösser werden seine Erfolgsaussichten sein.
Organisches Wachstum durch Bootstrapping
Dieser natürliche Weg zu einem neuen Unternehmen – oft als „Bootstrapping“ bezeichnet – birgt entscheidende Vorteile: Statt Kapital sind vielmehr Kopf, Querdenken und Gemeinsinn entscheidend. Fertige Module, wie elektronische Büros, Webshops, Customer-Relationship-Management und Logistikanbieter sowie Beschaffungsmärkte, die Güter in hoher und zuverlässiger Qualität in beinahe jeder gewünschten Form liefern können, lassen den Entrepreneur von Anfang an viele Geschäftsprozesse mit hoher Professionalität ausgliedern bzw. delegieren, die früher mühselig von Hand erarbeitet werden mussten. Die gewonnene Zeit kann stattdessen in die Ausarbeitung der Geschäftsidee und der stetigen Beobachtung der sich verändernden Kundenbedürfnisse und Märkte investiert werden. Die klassische „Business Administration“ wird weitest möglich delegiert.
Kosten sollten dabei grundsätzlich als variable Kosten anteilig zu den Umsätzen entstehen. Die dadurch gleichzeitig wesentlich niedrigeren Fixkosten haben einen spürbar geringeren Kapitalbedarf sowie ein insgesamt deutlich verringertes Risiko zur Folge. Damit steht dieser Weg allen offen, die nicht viel mehr einbringen müssen als eine Vision, das Verständnis für Communities sowie die Offenheit und Wertschätzung gegenüber allen, die sich an ihrem Ökosystem beteiligen.
Open Source Prinzipien im Unternehmertum
Mit dem ungewöhnlichen Weg gehen teilweise auch ungewohnte Prinzipien einher:
- Release early, release often
Der entscheidende Erfolgsfaktor für Linux lässt sich generell als Grundprinzip ansetzen. Linus Torvalds hatte 1992 sein Projekt – ein neues Betriebssystem zu entwickeln – bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt im Netz veröffentlicht. Zusammen mit einem Posting zu seiner Vision für dieses Projekt, hatte er nur wenige Zeilen Source Code bereits im Alphastudium freigegeben und die Diskussion darüber gestartet. In der Folge gab es fast täglich neue Releases, innerhalb weniger Monate war die Idee bei vielen Universitäten bekannt und das System erlangte durch die Mithilfe vieler Entwickler, die das Potential darin erkannten, schnell eine kritische Größe verbunden mit einer von Anbeginn erstaunlichen hohen Stabilität. Heute ist Linux aus unserer Welt nicht mehr wegzudenken und findet sich in einem Großteil der Consumergeräte oder Serversysteme wieder.Ohne das sehr frühe Öffnen des Projekts und den häufigen Releases, durch die die Änderungen der Community innerhalb kürzester Zeit integriert und damit von allen sofort verwendet werden konnten, wären der schnelle Erfolg und die grosse Verbreitung nicht möglich gewesen. Es gab zwar vergleichbare Projekte, die versucht hatten zuerst einen weitgehend vollständigen Funktionsumfang aus eigener Kraft zu erreichen, dieses Stadium dann aber letztlich nie verlassen haben, da sie es aus eigener Kraft alleine nicht schaffen konnten. Die Strategie der Offenheit und des sehr früh möglichen Zugriffs verhalf Linux – und Open Source generell – ganz wesentlich dazu, sich gegenüber anderen Systemen durchsetzen zu können.
- KISS – keep it simple, stupid
Jeder gute Entwickler wird bestätigen können, dass es deutlich einfacher ist, komplizierten, wenig verständlichen Code zu schreiben als bestechend einfachen, klar strukturierten Code, in den sich auch Aussenstehende bei Bedarf schnell einarbeiten können. Komplizierter Code macht es nicht nur Aussenstehenden schwerer, den Zugang dazu zu finden, auch die Pflege und Weiterentwicklung wird deutlich erschwert.Überträgt man dieses Prinzip aus der Softwareentwicklung auf den Bereich der Geschäftsideen, dann zeigt es auf, dass oft nicht die komplexen technologischen Erfindungen zum Erfolg führen, sondern die bestechend einfachen aber konsequent durchdachten Ideen, die mit den gängigen Konventionen brechen. Blickt man zurück auf die Zeit vor der Hightech-Blase im Jahr 2000, dann stellt man fest, dass es in diesen Jahren weder an reichlichem Risikokapital noch an guten Köpfen gemangelt hat und trotzdem waren nur die wenigsten der Technologie-Gründungen erfolgreich, da sie schlicht zu komplex waren.Je klarer, einfacher und durchdachter eine Geschäftsidee ist, desto mehr Potential hat sie, von vielen verstanden und unterstützt zu werden und damit letztlich nachhaltigen Erfolg zu haben.
- Nurture your Community
Eine aktive Open Source Community entsteht nicht durch Zufall, sondern ist durch stetiges und konsequentes Community Management geprägt. Dabei ist es wesentlich, sich auch auf die typischen Werkzeuge und Kommunikationswege einzulassen. Webportale, Blogs, Wikis, Social Platforms, Content Rating, IRC, Skype und Twitter bieten vielfältige Möglichkeiten, um diese Technologie-affine Zielgruppe passend zu erreichen.Softwareprojekte werden besser auf einem der bekannten grossen Portale wie sourceforge.net als auf einem entlegenen Server „im stillen“ Kämmerchen gehostet. Die Möglichkeiten des partizipativen Web sollten gezielt genutzt werden, alle Besucher vom ersten Klick an konsequent betreut und eingebunden werden. Vielfältige Kommunikation über die Idee, ihre Entstehung und ihren Werdegang hilft, um auch an anderen Stellen erwähnt und von Suchmaschinen auffindbar gelistet zu werden. So sorgt z.B. Twitter als Medium für besonders hoch bewertete Suchergebnisse bei Google.
- The Wisdom of Crowds
Entgegen der klassischen Ansicht, dass Unternehmen vor allem durch einzelne starke, charismatische Figuren geführt werden sollten, lehren uns zahlreiche Beispiele aus unserer vernetzen Welt, dass die Weisheit der Vielen oftmals unerwartet neue, innovative Ansätze hervorbringt. Das geschieht dabei mit einer Diversität und Kreativität, wie sie von Einzelnen alleine nicht erreicht werden kann. Jeder Mensch birgt ein hohes Potential an Innovation und Motivation, wenn man ihm nur Wege bietet, um es einbringen zu können. Organisationen, die sowohl das Potential ihrer Mitarbeiter als auch das der Communities außerhalb des Unternehmens zu nutzen verstehen, verschaffen sich hier einen enormen Wettbewerbsvorteil.Der Komplexität unserer modernen Welt lässt sich weder mit Hilfe von Try&Error, Ausblenden, rationalem Durchdringen noch durch Trivialisierung ausreichend begegnen. Einzig ein hoher Vernetzungsgrad mit einer möglichst vielfältigen Diversität der Beteiligten erlaubt es, eine ausreichende Grundlage für emotionale Entscheidungen zu bilden. Dies kann eine breite Community durch die so genannte „Mass Collaboration“ leisten, wenn sie entsprechend direkt und ungefiltert in das Unternehmen eingebunden wird und vielfältige Möglichkeiten zur Einflussnahme hat.
Albert Einstein beschreibt in einem Zitat die Qualität einer Idee: „Eine wirklich gute Idee erkennt man daran, dass ihre Verwirklichung von vorne herein ausgeschlossen erscheint“ – ist die Idee dabei noch ausgereift, klar und einfach, dann steht einer erfolgreichen Umsetzung innerhalb unserer neuen Ökonomie nichts mehr im Weg.