Die Abwesenheit vom Üblichen
Seitdem Tim O’Reilly vor zwanzig Jahren mit seinem Foocamp die Kaffeepause zur eigentlichen Konferenz erklärt hatte und daraus schnell das offene Barcamp Format entstand, lässt uns die Frage „Was kommt danach?“ keine Ruhe mehr.
Das Barcamp hatte sich damals von den Vorgaben der klassischen Konferenz befreit. Statt starr vorgegebenem Ablauf und Inhalt konzentriert es sich vor allem auf drei Aspekte:
- der Raum
- die Verpflegung
- die Infrastruktur
Alles weitere entsteht ad-hoc vor Ort. Vormals passive Teilnehmer werden zu aktiven Teilgebern.
Was kommt danach?
Nachdem das Foocamp 1 weitgehend fest vorgegeben war, wurde mit dem daraus entstandenen offfen Barcamp 2 Format seitdem viel experimentiert. Hybride Formate z.B. versuchen konventionelle Konferenzelemente mit Open Space zu verbinden.
Was aber würde entstehen, wenn man stattdessen vom Barcamp ausgehend versucht, neue (bisher noch nicht erkannte) Muster und Strukturen zu finden?
Für dieses Experiment gab es bisher zwei Versuche in Form der 23² . Die Zutaten sind neben dem nochmals größeren Freiheitsgrad vor allem die gezielte Abwesenheit von üblichen Konventionen sowie eine handverlesene Balance zwischen den Teilnehmern.
Das neue Format zieht spielt mit der Abwesenheit von üblichen Mustern, Rollen und Abläufen.
Dabei bringt jeder der direkt Eingeladenen eine vertraute Begleitperson mit, von der er überzeugt ist, dass sie auf keinen Fall dabei fehlen sollte.
So entsteht im Idealfall ein Mix aus vertrauten Gesichtern und spannenden unbekannten Gästen.
Eine erste Zwischenbilanz
Die Wahl des richtigen Ortes trägt viel zur Atmosphäre bei. In unserem Fall ein Penthouse über den Dächern, mit viel verglasten Flächen und bodentiefen Fenstern. Schon beim Betreten der stimmigen, weitläufigen Open Space Fläche öffnen sich die Gedanken.
Die Antimuster Stehtisch und Bestuhlung wurden ersetzt durch die weitgehende Abwesenheit von vorgegebener Möblierung. Der unverstellte Raum statt schafft Offenheit. Runde Teppichinseln anstatt Sitzelemente laden zum Perspektivwechsel ein.
Kassensturz
Zwei Aspekte sind uns dabei besonders in Erinnerung geblieben:
- die Hürde mit der Wahl der richtigen Begleitperson
- der richtige Zeitpunkt (Jahreszeit) für das Event
Die Idee mit der Begleitperson erschien uns auf den ersten Blick stimmig und nachvollziehbar. Womit wir nicht gerechnet hatten, war die Hürde, die wir vielen der Teilnehmer damit auferlegt haben.
Etwa ein Drittel war an der Aufgabe schlicht gescheitert, die richtige Begleitperson zu finden. Ein weiteres Drittel hatte deshalb schlaflose Nächte. Nur ein Drittel hatte schnell die richtige Person im Sinn, diese angesprochen und eine feste Zusage erhalten.
Was ist das Ziel? Wie sieht der Ablauf aus? Wozu ist das gut?
Die anderen konnten sich entweder gar keine passende Person vorstellen oder hatten schon mehrere Begleitungen angesprochen, die aber nicht mit der Idee warm geworden waren. Statt Neugier und Vorfreude kamen dann oft skeptische Fragen wie „wozu ist das gut?“, „was soll das Ziel davon sein?“, „wie sieht der Ablauf dafür aus?“ oder „was wird dort passieren?“.
Diese Art der Rückfragen hilft als Filter – wir wollen genau diejenigen für das Format gewinnen, die sofort vor Neugier und Begeisterung für das Unbekannte und Neue sprühen. Muss man Jemanden jedoch erst davon überzeugen, dann ist es die falsche Person.
Das Frühlingsformat
Noch mehr hat uns jedoch überrascht, dass der zweite Anlauf im Herbst viel schwieriger war. Während es im Frühjahr praktisch keine Absagen gab und fast alle für den gesamten Tag dabei waren, mussten wir im Herbst auf einen halben Tag verkürzen und es gab viele kurzfristige Absagen.
Daraus hat sich die Erkenntnis eingestellt, dass das Format ins Frühjahr gehört: dann, wenn die Natur gerade anschiebt, alles aufblüht und eine Aufbruchstimmung herrscht, was das Jahr Neues bringen wird.
Der Herbst dagegen scheint geprägt vom Jahresendspurt, den kürzer werdenden Tagen und weniger Freiraum / Energie im Kopf, um Neues anzuschieben.
Die Abwesenheit vom Üblichen
Wir haben den Tag bewusst frei laufen lassen. Einzig ein 5-Minuten Intro hatte vermittelt, dass die Teilnehmer selbst das Event sind. Alles weitere stellt sich von selbst ein – gemeinsam komponiert von allen Anwesenden:
46 Individuen, die sich im Raum bewegen. Wie Musiker bei einer Jamsession folgen sie einer Melodie, einem Motiv und kreieren gleichzeitig ein neues.
Jeder ist frei, sich zu verbinden, auseinanderzugehen und wieder zusammenzukommen. Es ist ein Fluß von Schwingungen, Improvisation und Interaktion.
Der Tag spielt mit der Balance zwischen Struktur und Freiheit, zwischen Zuhören und Sprechen. Auf Entdeckung zwischen individuellem Ausdruck und kollektiver Harmonie.
Drei Denkbegleiter
Neben dieser Charakterisierung gab es im Vorfeld als Gebrauchsanweisung drei kurze Denkbegleiter für das Event:
- Alle Gespräche sind offen.
Jeder ist überall willkommen, um mit einzutauchen - Bleibt in Bewegung.
Flaniert bewusst zwischen verschiedenen Gruppen und Themen - Seid wunderbar zueinander.
Geht lieber in die Tiefe statt an der Oberfläche zu bleiben
Neben einem realen Konzert, das sich ungeplant und ohne jede Bühne im Hintergrund als Klangerlebnis mit Kontrabass, Piano Keyboard und Synthesizer eingeschwungen hat, hat sich der Tag wie ein Jazz Jam Session angefühlt.
Wie lässt sich dieser Tag beschreiben? Flanieren, staunen, mäandern sind unsere Lieblingsvokabeln geworden.
Alles kam miteinander in Schwingung und Resonanz. Themen sind durch verschiedene Konstellationen gelaufen, viele Gespräche mit Tiefgang und Ruhe. Dazu unterschiedlichste ad-hoc Experimente zwischen den Menschen, wie z.B. ein offenes Live Coaching, in das unbeteiligte Zuschauer spontan eintauchen konnten.
Wir sind super gespannt, wohin sich das Format weiterentwickeln wird. Die nächste Auflage steht im Frühling 2024 an.
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1. Das Friends of O’Reilly Camp, kurz Foocamp.
2. Benannt nach der auf foo folgenden metasyntaktischen Variable bar.