Organisationsentwicklung von unten bei den Volkshochschulen
Im Rahmen des Management 2.0 MOOC wurden wir auf die bemerkenswerte Initiative von Volkshochschulmitarbeitern und -leitern aufmerksam. Diese hatten damit begonnen, sich über einen MOOC unter dem Motto “Weckt den Riesen” zu organisieren. Dabei fallen inhaltlich erstaunlich viele Parallelen zwischen den Volkshochschulen und Unkonferenzen auf. Karlheinz Pape berichtet in seinem Blog, wie sich die Initiative im letzten halben Jahr weiterentwickelt hat.
Über 900 Volkshochschulen gibt es in Deutschland. Diese werden von 200.000 freiberuflichen Kursleitern gesteuert, die wiederum gut 9 Millionen Teilnehmer jährlich bedienen. Damit scheint die VHS unbestreitbar die größte Weiterbildungsorganisation in Deutschland zu sein. Oder doch nicht? Es handelt sich nämlich um 900 selbständige Einheiten, die unter dem gleichen Namen auftreten. Eingebunden sind sie in Gemeinden – mal als Teil der Verwaltung, mal als kommunale GmbH arbeiten die im öffentlichen Dienst beschäftigten VHS-Mitarbeiter im Auftrag ihrer Kommune und naturgemäß innerhalb der kommunalen Grenzen.
Lebenslanges Lernen zu unterstützen, ist der mehr oder weniger offen ausgesprochene Auftrag, insbesondere mit Angeboten für die bildungsferneren gesellschaftlichen Gruppen. Gute Lern-Gelegenheiten gibt es aber immer mehr ohne dass man Klassenräume besuchen muss. Das Internet lädt heute auch zum Lernen ein, und das oft sogar kostenlos. Dr. Christian Fiebig, Geschäftsführer der VHS Böblingen-Sindelfingen beschreibt das so: “Im Internet liegen alle Bildungsanbieter und alle VHS nebeneinander in der gleichen Straße – nur einen Mausklick entfernt”.
Das Internet lässt die Angebote zusammenrücken
Damit werden regionale, kommunale Grenzen für Bildungsangebote aufgelöst. Eine Anmeldung eines zahlenden Hamburger Teilnehmers für einen Online-Kurs einer süddeutschen VHS wird dort ganz sicher nicht abgewiesen. Ganz im Gegenteil, das Internet schafft jetzt gerade für ländliche VHS ganz andere und wirtschaftlich interessante Möglichkeiten an viel mehr Teilnehmer zu kommen – wenn das Angebot gut ist. Das heizt den Wettbewerb an. Lernangebote im Internet werden transparenter, werden damit vergleichbarer.
Qualitäts-Angebote sprechen sich rum, und steigern damit die Qualität der noch folgenden Angebote. Schließlich will kein Kursleiter und kein verantwortlicher VHS-Mitarbeiter im Internet mit seinem Lernangebot zu den nicht so gut Bewerteten gehören. Und auch weiterhin stattfindende Präsenzkurse werden sich an gut aufbereiteten Online-Kursen messen lassen müssen. Für lernwillige Teilnehmer entsteht hier eine Angebotsausweitung, die ihm immer mehr Wahlmöglichkeiten bietet, das jeweils persönlich am meisten Ansprechende zu wählen. Auch das verschärft den Wettbewerb der Anbieter.
Bis auf die wenigen großstädtischen VHS sind die meisten eher kleine Bildungsanbieter mit wenig Ressourcen. Viele Lernangebote entstehen durch Kursleiter, die Themen vorschlagen und als eigenen Kurs ausarbeiten. Die Qualitätsbewertung übernehmen die Teilnehmer mit Durchhaltequote und Urteil am Ende – und mit der Zahl der Anmeldungen bei Folgekursen. (Das ist auch bei anderen Bildungsanbietern so.) Die Gesamtzahl der Kursstunden ist deshalb auch der erwartete in Zahlen gegossene Gegenwert für die öffentlichen Förderungen der VHS. Sieht man das ganze Bild, dann fällt schnell auf, dass die VHS viele gleiche / ähnliche Angebote im Programm haben.
Vernetzte Organisation und vernetztes Lernen
Wieviel Kursleiter erarbeiten in Deutschland eigentlich gleiche / ähnliche Themen? Diese Kurs-Ausarbeitungen bleiben üblicherweise auch immer im Besitz der Kursleiter, so dass ein Nachfolger oder eine Kursleiterin in der Nachbar-VHS wieder von vorn beginnen muss. Summiert man diese wertvollen Experten-Ressourcen, die immer wieder zur Erstellung gleicher / ähnlicher Kurse aufgewendet werden, würde man ungeheuer große Kapazitäten entdecken, die man für neue Lehr- und Lernangebote ganz anderer Art nutzen könnte.
Mit dem Einkauf der Rechte könnten die dann allen VHS zur Verfügung stehen. Da schlummern Potentiale, die gebündelt und ausgerichtet die VHS zu mutig voranschreitenden Akteuren in unserem allseits kritisierten Bildungssystem machen könnten. Und zum allergrößten Player am deutschen Weiterbildungsmarkt – mit allen Vorteilen solcher Marktmacht.
Hierarchien verschwinden
Können die mehr als 900 VHS zu einem großen Bildungs-Anbieter werden? Dass das jemals politisch entschieden wird, scheint sehr unwahrscheinlich, auch wenn es wirtschaftlich und inhaltlich klug wäre. Wir erleben heute den Trend zu vernetzten Organisationen, in denen Hierarchie eine neue, andere Rolle bekommt. Wenn man sich die vielen regionalen VHS einmal als Netzwerk-Knoten einer aufs gleiche Ziel hinarbeitenden Netzwerk-Organisation vorstellt, dann scheint dieses Ziel gar nicht unerreichbar.
VHS-Mitarbeiter sind Behörden-Mitarbeiter. Und Behörden sind noch nie durch gutes Netzwerken aufgefallen, werden Sie sagen. Andererseits haben gerade VHS-Mitarbeiter schon vor Jahren aus eigenem Antrieb mit der Vernetzung der Marketing-Mitarbeiter vieler VHS begonnen. So wie bisher kann es nicht weitergehen, wenn VHS in Zukunft noch wichtig sein wollen, war der Gedanke bei den Marketing-Spezialisten.
Wir brauchen insbesondere neue Weblernangebote und wir müssen generell darüber nachdenken, ob denn unser wöchentlicher Kurs- Rhythmus, getaktet und unterbrochen durch die vielen Schulferienzeiten, in Räumen mit der sichtbaren Aufforderung am Ende die Stühle auf die Tische zu stellen, für berufstätige Erwachsene wirklich das Optimum ist.
Bottom-Up Initiative VHS MOOC
Das ist leicht gesagt. Taten folgten aber schnell. Ohne irgendeinen offiziellen Auftrag starteten am 16. September 2013 ein paar aktive VHS-Mitarbeiter aus verschiedenen Städten ein ganz besonderes und öffentliches Projekt für alle VHS- Mitarbeiter, Kursleiter und weitere Interessierte, den vhsMOOC mit dem interessanten Titel “Wecke den Riesen auf”. Massive Open Online Courses mit tausenden Teilnehmern sind einer der Anläße für VHS sich zu erneuern.
Dieser MOOC hatte gleich zwei Ziele: Möglichst vielen VHS-Akteuren eine eigene MOOC-Erfahrung zu vermitteln, und gleichzeitig die Diskussion über neues Lernen in den VHS zu führen. Eine Organisationentwicklungs-Maßnahme von unten also. Die hat immerhin 700 Teilnehmende aus ganz Deutschland erreicht, die sich auf vielfältigen Social Media-Kanälen von Facebook über YouTube und Blogs bis Twitter zur Neugestaltung von Lernen ausgetauscht haben.
Innovatives Konferenzformat
Wie bei jedem Kurs, hatte auch der vhsMOOC ein Ende, am 10. November 2013. Jetzt zünden die Initiatoren die nächste Stufe, ein reales Zusammentreffen ist geplant am 16./17. Mai 2014 in der VHS Köln. Und wieder haben die Macher ein innovatives Konferenz-Format dafür gewählt, dass man auch als Lern-Umgebung verstehen kann. Das vhsbarcamp 2014 läuft im Un- Konferenz-Format “BarCamp”. Dabei wird die Agenda ausschließlich aus Beiträgen der Teilnehmer – die man hier “Teilgeber” nennt – gespeist.
Die Agenda entsteht auch erst an jedem Morgen gemeinsam im Plenum. Wenn man so will, ist das die reale Umsetzung des interaktiven ungeregelten Austausches im Web 2.0, z.B. in den vielen Fachforen. Sehr geschickt, die VHS-Akteure hier wieder selbst in Web 2.0-ähnlicher Umgebung eigene Erfahrungen sammeln zu lassen. Und Konferenzen sind immer Lern-Veranstaltungen, diese setzt ganz nebenbei auch noch auf selbstorganisiertes Lernen.
http://khpape.wordpress.com/2014/03/21/organisations-entwicklung-von-unten-…