Was Unternehmen von Open Source lernen

Auf den ersten Blick scheint die Motivation von wirtschaftlich orientierten Unternehmen wenig vereinbar mit dem sozialen System einer Open Source Community. Dennoch können Unternehmen im Wettbewerb um kreative Köpfe und unabhängige Wissensarbeiter sehr viel von Open Source lernen. Insbesondere sind dies die Erfolgsfaktoren, welche offene Softwareprojekte auszeichnen: Engagement, Motivation und Können werden dort nicht über externe Anreize wie Arbeitsverträge, Zielvereinbarungen oder Weisungsbefugnis erreicht, sondern regulieren sich stattdessen über innere Antriebsfaktoren wie z.B. Autonomie, Exzellenz, Reputation oder Sinnhaftigkeit.

Nicht erst seitdem der Fachkräftemangel immer spürbarer wird – vor allem im technologischen Bereich – sehen Unternehmen mehr und mehr Veränderungen bei den Wertvorstellungen und Erwartungen von jungen Nachwuchskräften. Gerade für kreative und anspruchsvolle Aufgaben, die sich weder sinnvoll automatisieren noch auslagern lassen, bringen die besten Talente meist sehr klare Vorstellungen und Forderungen zum Bewerbungsgespräch mit.

 

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Eine neue Werteskala für Statussymbole

Für viele Talente gewinnen auf der Suche nach knackigen Herausforderungen – statt bisheriger Statussymbole wie Dienstwagen oder Bonuszahlungen – neue Faktoren an Bedeutung. Diese reichen von anspruchsvollen Aufgabenstellungen, freier Zeitgestaltung, hoher Selbstständigkeit, flache Hierarchien, räumliche Unabhängigkeit, Teilnahme an ausgesuchten (Un-)Konferenzen, bis zur Freiheit, die eigenen Wunschgeräte für den Job nutzen zu können (Bring-your-own-device).

Einen hilfreichen Einblick in die Hintergründe liefert der TED Talk von Dan Pink: „The surprising truth about what really motivates us“ (Empfehlung: in Form dieses RSA Animate). Entsprechend geeignete Bewerber auf offene Stellen haben eine sehr gute Verhandlungsposition, um einige der vorgenannten Punkte bei der Einstellung zu vereinbaren oder sie bleiben gleich unabhängige Freelancer und arbeiten gezielt auf Projektbasis an herausfordernden Aufgaben mit. Demgegenüber tun sich bestehende Mitarbeiter naturgemäss schwerer, um neue Bedingungen auszuhandeln.

Offenheit, Vertrauen, Vielfalt, Mut zur Innovation

Der Nutzen dieser neuen Statussymbole beschränkt sich keinesfall darauf, um neue Talente an Bord zu holen. Auch für das bestehende Team sind diese neuen wertschätzenden Elemente ein attraktiver Weg, um die Unternehmenskultur zu stärken und allen die gleichen Optionen zu bieten. Gerade um Höchstleister im Unternehmen zu halten gibt es dem Arbeitgeber wertvolle Alternativen in Gehaltsverhandlungen.

In der Summe läuft dies oft auf einen einsetzenden Kulturwandel hinaus. So wie bei einem begeisterungsfähigen Startup die Unternehmenskultur oft stark von allen Mitarbeitern geprägt wird, können sich auch bestehende Unternehmen darauf einlassen, neue Werte in den Mittelpunkt zu stellen und diese ebenso authentisch zu leben: Offenheit, Vertrauen, Transparenz, Vielfalt, Mut zur Innovation, Meritokratie. Wesentliche Faktoren, die auch Open Source Projekte auszeichnen und stark machen können.

Rollen werden nicht verliehen, sondern entstehen durch Engagement

Nicht zuletzt die Transparenz von Open Source Projekten hilft auch bei einem weiteren entscheidenden Punkt. Das Fachwissen von Bewerbern tritt gegenüber Erfahrungen und Methodenkompetenzen immer mehr in den Hintergrund. Reines Wissen ist mittlerweile weitgehend frei verfügbar und jederzeit bei Bedarf zugreif- und abrufbar. Den wesentlichen Unterschied macht die Transferleistung, die ein Aspirant erbringen kann – ist er zum Beispiel in der Lage, seine individuellen Kompetenzen schnell auf neue Wissensgebiete anwenden?

Eine wertvolle Visitenkarte sind der Ruf und die Reputation, die sich Jemand innerhalb von Open Source Projekten aufbaut. Dazu muss er nicht notwendigerweise ein hochqualifizierter Entwickler sein – die Spuren von individuellem Engagement finden sich auch in den Foren, Nutzercommunities, bei der Lokalisierung, für Grafik- und Webdesign oder in der begleitenden Dokumentation. Hier wartet ein wahrer Fundus an Hinweisen auf den Arbeitsstil, die Social Skills um Umgang miteinander, die Projektmanagementkompetenz in komplexen Umgebungen oder die bevorzugt eingesetzten Methoden.

Das Netz fördert die persönliche Handschrift zutage

All diese Informationen zeigen einen nicht unwesentlichen Teil der persönlichen Handschrift eines Bewerbers und stehen offen zur Verfügung – sofern man die vorhandenen Spuren im Netz nutzt und richtig zu bewerten weiß. Somit lässt sich hier ein sehr wertvoller Filter nutzen – besonders engagierte Bewerber oder Mitarbeiter wird man schnell aus der Menge heraus finden.

Gleichzeitig ist die bisherige Aktivität in Open Source Projekten ein Beleg dafür, dass die betreffende Person sattelfest in diesem Umfeld ist – und damit vieles aus der Arbeitsweise mitbringt sowie eine wertvolle Vernetzung nach außen in das Unternehmen hineinbringen kann. Gerade im Hinblick auf die Forderung nach maximaler Vernetzung im Sinne von Open Innovation, ist dies ein eleganter Weg, um vielfältige Einflüsse und Sichtweisen einbeziehen zu können

Die Kathedrale und der Basar

Das frühe und weit beachtete Essay “The Cathedral and the Bazaar” stellt die Stärken von Open Source Softwareentwicklung den bis dahin klassischen Softwareentwicklungsmethoden gegenüber. Viele dieser Beobachtungen helfen auch beim Vergleich der Funktionsweise von klassischen Unternehmen mit offenen Community Projekten oder Startups. Die Hierarchien von Unternehmen (die Kathedrale) treffen dabei auf die offene Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten (der Marktplatz).

Statt dem anscheinenden Chaos, das man mit einem orientalischen Basar verbinden würde, zeigte das Entwicklungsmodell schnell herausragende Stärken, die für die Kathedralenbauer eine komplette Überraschung waren. So werden z.B. statt langwieriger Planung Zwischenergebnisse schnell für alle verfügbar gemacht. Treffen sie nicht die Bedürfnisse oder Erwartungen der Nutzer, so kann unmittelbar korrigiert und angepasst werden. Dieses “release early, release often” Prinzip lässt sich auf viele Bereiche im Unternehmen anwenden und spiegelt sich heute im “Pretotyping” von frühen Produkt- und Dienstleistungsideen wieder.

Fazit

Alle zuvor angesprochenen Themen und Aspekte sollen nur kurze Impulse und Anregungen geben. Sie schneiden den jeweiligen Sachverhalt nur knapp an und sind bewusst nicht weiter vertieft. Jedes Unternehmen und jede Führungskraft kann sich daraus die passende Zusammenstellung bilden,  die am Besten zur vorhandenen Unternehmenskultur passt. Wichtig ist dann vor allem der notwendige Freiraum, um sich an die einzelnen Ideen heranzutasten. Durch das unvoreingenommene Experimentieren mit den verschiedenen Methoden lässt sich Erfahrung damit sammeln und die ersten kleinen Erfolge können gemeinsam mit der Organisation gefeiert werden, um sie anschließend weiter zu verfolgen und auszubauen.

Zusammenfassung

  • Neue Werte wie Unabhängigkeit, Exzellenz oder Sinnhaftigkeit gewinnen zunehmend an Gewicht gegenüber klassischen Faktoren wie Entlohnung, Status oder Macht
  • Die Währung im Kampf um die kreativsten Köpfe verändert sich deutlich in Richtung von “offenen” Werten
  • Open Source Stärken wie Offenheit, Vertrauen, Transparenz, Vielfalt, Mut zur Innovation, Meritokratie rücken in den Mittelpunkt für eine innovative Unternehmenskultur
  • Methodenkompetenz und Erfahrung wird wichtiger als Spezialisierung und Fachwissen
  • Open Source Aktivitäten zeigen die persönliche Handschrift eines Bewerbers offen auf
  • Die zunehmende Vernetzung von Unternehmen löst Bereiche, Hierarchien und Unternehmensgrenzen auf und verschiebt dabei das bisherige Machtgefüge von Führungskräften und Managern hin zu kreativen Köpfen und Höchstleistern